Rezension zu „Der Pflegefall“

Inkultura, Michael Kreisel:

Buchkritik — Olivia Monti — Der Pflegefall

Umschlagfoto, Buchkritik, Olivia Monti, Der Pflegefall, InKulturA Anna Zerbst, Mitte fünfzig, einsam und in prekären finanziellen Verhältnissen lebend, nimmt eine Stelle als Pflegekraft an. Ihr neuer Arbeitgeber ist ein ehemals einflussreicher und vermögender Mann mit einem äußerst problematischen Charakter. Sie bezieht ein Zimmer in der Villa Brunt und wird vom dortigen Hausmeisterehepaar in die tägliche Routine eingewiesen.

Schnell wird ihr klar, dass dieser Job Herausforderungen beinhaltet, die sie oft an ihre persönlichen Grenzen gelangen lassen. Herr Brunt ist jähzornig, unbeherrscht und gefällt sich darin, seine Mitmenschen, es sind nur wenige, permanent zu beleidigen und sogar körperlich anzugreifen. Mitten in dieser für Anna ohnehin schwierige Situation, erfährt sie Näheres über die Vergangenheit Brunts.

Nella und Markus, das Hausmeisterehepaar berichten vom Missbrauch ihrer behinderten Tochter durch Brunt, der ebenfalls seinen Sohn Tobias körperlich und psychisch gequält haben soll. Eine vormalige rumänische Pflegekraft ist spurlos verschwunden und auch der Tod von Tobias Mutter geschah unter mysteriösen Umständen. Als es Anna gelingt, einen verhältnismäßig guten Kontakt zu Brunt herzustellen, erzählt dieser eine andere Version der Ereignisse.

Hin und her gerissen zwischen Pflicht und Empörung, stellt sich angesichts der Tatsache, dass Brunt durch Nella, Markus und Tobias langsam vergiftet wird, die Frage nach ihren möglichen Optionen. Soll sie mit ihrem Wissen zur Polizei gehen, schweigen oder gar die Stelle aufgeben? Als sie eine Entscheidung trifft, entwickelt sich die Angelegenheit auf dramatische Weise.

„Pflegefall“ ist ein beklemmender Psychothriller, der die Villa Brunt zu einem klaustrophobisch inszenierten Ort negativer Emotionen gestaltet. Wut, Hass, Gier und Rachegefühle vergiften das Leben der Figuren, die, getrieben von Verzweiflung und Sadismus, ein Leben führen, dass dunkel zu nennen, noch untertrieben wäre. Allein die vage Hoffnung auf die finanzielle Hinterlassenschaft Brunts hält diesen Kosmos des Negativen zusammen.

Olivia Monti ist es gelungen auf knapp 200 Seiten ein Pandämonium menschlicher Abgründe zu beschreiben, dass Erschauern lässt. Eine bereits unter normalen Umständen immer problematische Beziehung zwischen Pflegenden und zu Betreuenden eskaliert hier zu einer Situation, die unerträglich ist und die geradewegs auf eine Katastrophe zusteuern muss.

Man ist froh, diesen Roman nach der Lektüre beiseite legen zu können; nicht weil er schlecht geschrieben ist, sondern, im Gegenteil, mit einer Intensität daherkommt, die nur schwer zu ertragen ist. Ein „Pflegefall“ mit absoluter Leseempfehlung.

 


 

Meine Bewertung:Bewertung

Veröffentlicht am 12. Mai 2018

Mini-Leseprobe aus „Luna Park 2, Jahrmarkt der Gier“

Mini-Leseprobe aus „Luna Park 2, Jahrmarkt der Gier“

 Kapitel  7

Das Spiel

„Also, Zaza, du bekommst eine Stelle in der Zentralbank Nord. Du wirst Assistentin des Präsidenten.“

Zaza riss die Augen weit auf, brachte kein Wort heraus vor Staunen.

„Brauni“, der König lächelte. Sein Lächeln verschwand aber gleich wieder, so abrupt wie ein Licht, das man ausschaltet. „Brauni, du wirst im selben Gebäude wie Zaza arbeiten. Dort ist auch eine Geschäftsbank untergebracht. Als Anlageberater bekommst du ein eigenes Büro mit Sekretärin.“

„Wow“, entfuhr es Brauni. Er wirkte auf mich so, als sei er stolz auf dieses Angebot.

„Und jetzt zu Dugo.“

Mir lief es kalt über den Rücken, als er mich mit seinen schwarzen Augen fixierte.

„Du wirst Geschäftsführer und Inhaber unserer größten Videothek in „Luna Park Nord“. Wir haben dort Tausende von Filmen aller Sparten. Du kannst das Geschäft auch erweitern, vielleicht noch eine Bibliothek einrichten. Ob du das mit den Einkünften bestreitest oder Kredit aufnimmst, ist deine Sache. Wirtschafte ganz, wie du es für richtig hältst.“

Ich liebe Filme und Bücher. Das war genau der richtige Job für mich. Brunos Anfall von Stolz störte mich jetzt nicht mehr; ich war nicht schlechter weggekommen als er.

Camel rückte nervös auf seinem Sessel hin und her. Endlich kam der König auf ihn zu sprechen. „Ich denke, dir würde es Spaß machen, die Rennbahn 3 in „Luna Park Nord“ zu betreiben. Die Rennwagen dort entsprechen den Rennwagen in deiner Welt. Du hast Lamborghinis, Ferraris, McLarens und so weiter. Sie fahren nur nicht so schnell. Das wäre zu gefährlich. Als Geschäftsführer und Inhaber kannst du mit den Einkünften machen, was du willst: Du kannst sie verbrauchen, ein schönes Leben führen, Häuser kaufen, Feste geben, Freundinnen gewinnen, oder du kannst sie investieren und deine Rennbahn zur größten und schönsten im ganzen Park machen.“

Camel liebte heiße Schlitten und sah schon ganz verzückt vor sich hin.

„Und Sie meinen, Exzellenz, wir könnten das auf Anhieb schaffen, ohne jede Vorbereitung?“, fragte Camel dann aber mit wackliger Stimme. „Wir sind doch erst dreizehn. Haben noch nie gearbeitet.“

„Jeder von euch bekommt einen meiner Bediensteten an seine Seite. Der kann jedwede eurer Fragen beantworten. Nichts wird unklar bleiben. Und: So schwierig sind diese Dinge alle gar nicht. Die meisten Erwachsenen tun nur so, als seien alle diese Jobs kompliziert, weil sie sich damit groß machen wollen, oder weil sie anderen Angst einjagen wollen. Es geht um Macht.“

Brauni nickte. Ihm schien das einzuleuchten. Ich war der Ansicht, dass es auch eine Menge Unfähige gab. Und wir gehörten zu denen. Wir hatten keine, nicht die winzigste Erfahrung. Ich wüsste vielleicht nicht mal, was ich den Bediensteten, der mir helfen musste, fragen sollte.

Zaza musste mich beobachtet und begriffen haben, dass mein Selbstvertrauen zusammenschmolz. Ganz leise sagte sie zu mir: „Wenn ich nicht weiß, was ich tun soll, dann sag ich einfach zu dem Bediensteten: Machen Sie es mal. Ich schau dann zu und versuch zu lernen.“

Ja, so konnte es klappen. Vielleicht funktionierte es auch in der Erwachsenenwelt so. Nannte man das dort nicht „Delegieren“?

„Regelmäßig“, sagte der König laut, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen, „findet hier im Schloss ein Briefing statt. Da sehen wir dann mal, wie es bei euch so läuft.“ Sein Lächeln war jetzt leicht hämisch, hatte ich den Eindruck. Während ich überlegte, was „Briefing“ bedeutete, wollte Brauni gerade noch Ananasscheiben auf seinen Teller laden, als der König aufstand und rief: „Es geht los!“

 

Ein paar Seiten später

Zuerst führte der König Zaza und Brauni in Braunis zukünftiges Büro. Brauni staunte über die Größe. Hundert Quadratmeter, eingerichtet in Leder und Chromstahl, ringsum Glaswände mit einer spektakulären Aussicht über den Park. In einem Nebenzimmer arbeiteten zwei Sekretärinnen und Braunis persönlicher Assistent.

Der König tippte Brauni auf die Schulter. „Durch deine Hände wird viel Geld fließen“, sagte er und wollte damit offenbar die Wichtigkeit von Braunis Position betonen. „Deine Kunden sind die Geschäftsleute des „Luna Parks“, die Restaurantbetreiber, Fahrgeschäftsbetreiber, alle, die in „Luna Park Nord“ oder Süd ein Geschäft unterhalten, etwas verkaufen. Du vergibst an sie Kredite und verkaufst ihnen Wertpapiere. Eigentlich brauchst du gar keinen Assistenten, da der Vorstand der Bank dir die Wertpapiere empfehlen wird, die du weiterverkaufst. Je mehr Kredite du vergibst und je mehr Wertpapiere du verkaufst, desto größer dein Erfolg. Du hast ein Grundgehalt von 50 000 Euro monatlich, und jeder erfolgreiche Geschäftsabschluss wird mit einem Bonus belohnt.“

Brauni nickte sachverständig. Es schien ihm alles einzuleuchten. Bei dem Wort „Bonus“ blitzten seine Augen. Brauni setzte sich probeweise in den schwarzen Ledersessel vor seinem Schreibtisch aus Chromstahl und Glas, wippte hin und her, drehte sich im Kreis, lächelte selbstvergessen, bis der König zum Aufbruch aufforderte: „Gehen wir jetzt hoch, in die Zentralbank.“

„Und wann sehen wir mein Haus an?“, fragte Brauni schon leicht enttäuscht. Anscheinend war in ihm eine Art Gier nach mehr erwacht.

„Später“, erwiderte der König knapp.

Der Aufzug in den zwanzigsten Stock brauchte gerade mal fünf Sekunden. Als die Tür aufging, war Zaza so geblendet, das sie unkontrolliert „W-wow, ich bin geflasht!“ herausstotterte. Die Empfangshalle erstrahlte in Silber und Gold.

Der König zeigte Zaza und Brauni zuerst die Direktionsbüros und das Konferenzzimmer. Hier war der Einrichtungsstil schottisch: mit Edelhölzern getäfelte Wände, Vorhänge und Sessel mit Karomuster.

„Die Zentralbank nimmt die obersten fünf Etagen ein“, erklärte der König zu Zaza gewandt. „Das hier ist die Zentralbank Nord. Es gab mal eine Zentralbank Süd. Die haben wir irgendwann geschlossen, als wir in Süd und Nord eine einheitliche Währung eingeführt haben. Die Zentralbank Süd hatte praktisch keine Funktion mehr.“ Der König lachte. „Die einheitliche Währung ist der Euro. Die Zentralbank Nord beeinflusst die Kreditzinsen, zu denen die Geschäftsbanken, also etwa unser lieber Brauni, Kredite vergeben darf. Sie sorgt für Geldstabilität und, und, und. In letzter Zeit tut sie auch einiges Unübliches. Sie greift der Verwaltung Süd oder Nord unter die Arme, indem sie deren Schuldtitel kauft. Manchmal können sich die Verwaltungen einfach nicht genügend Geld von den Bürgern des „Luna Parks“ besorgen, die Titel werden von ihnen nicht gekauft, und auch den Geschäftsbanken kann man nicht beliebig viele davon aufdrängen. Naja, und obendrein macht die Zentralbank nicht nur Geldpolitik, sondern trifft noch ganz andere politische Entscheidungen. Wir haben hier ja kein Parlament. Die Zentralbank ist daher ein bisschen ein Mädchen für alles. Ich will dich nicht langweilen, liebe Zaza. Vielleicht noch auf ein kleines Problemchen aufmerksam machen. Im Süden gab es früher eine andere Währung, den Daikiro. Der war eine schwache Währung und die Zinsen im Süden waren dreimal so hoch wie die im Norden. Es war also teuer, sich Geld zu leihen. Der Norden hatte eine starke Währung, die Eumark, und niedrige Zinsen. Irgendwann setzte der Norden durch, es solle für Nord und Süd nur noch eine Währung geben, den Euro. Der Wirtschaftsraum aus Nord und Süd sollte enger zusammenwachsen. Anfangs blühte der Süden auf. Die Südler konnten auf einmal Kredite für vier Prozent statt für zwölf Prozent aufnehmen. Es kam zu einem Bauboom, neue Geschäfte entstanden. Irgendwann waren aber alle, auch die Verwaltung Süd, die sich um den Straßenunterhalt, die Beleuchtung, die Sicherheit und so weiter kümmert, so hoch verschuldet, dass es nur noch bergab ging. Die Verwaltung Süd hatte sich sogar dazu hinreißen lassen, zehn Achterbahnen zu bestellen, für die es natürlich bei Weitem nicht genügend Kundschaft gab. Sie rosten mittlerweile vor sich hin. Das Geld war ja so billig. Und jeder Kauf war zudem noch mit einem schönen Schmiergeld verbunden, sodass viele Verwalter geradezu kaufwütig wurden und sich ganz nett bereicherten. Diejenigen, die ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen konnten, verloren ihre Häuser und Geschäfte. Und die Verwaltung Süd häufte einen Schuldenberg an, den sie selbst nicht mehr abbauen konnte. Der Süden hatte ja keine Zentralbank mehr, die einfach Geld drucken konnte, um den Verpflichtungen nachzukommen. Und der Süden konnte so auch nicht mehr seine eigene Währung abwerten, um aus dem Schlamassel durch mehr Wettbewerbsfähigkeit wieder rauszukommen. Der Norden wurde hingegen noch wettbewerbsfähiger, da der Euro schwächer war als die alte Eumark des Nordens.“

Zaza hörte aufmerksam zu, verstand aber kaum etwas.

„Ich will jetzt nicht zu ausführlich sein, dich nicht überfordern. Jedenfalls ist zwischen Nord und Süd infolge des gemeinsamen Euros ein erhebliches Gefälle entstanden.“ Der König machte eine kleine Pause. „Und es nimmt weiter zu. Das Geld, das der arme Süden braucht, um seine Schulden zu begleichen, muss ihm jetzt der Norden geben. Der Norden tut dies auch. Unter bestimmten Bedingungen …“

Zaza bemerkte aufgeregt: „Wir waren schon auf dem Weg nach „Luna Park Süd“ und sind auch einer Person begegnet, die bettelte …“

Der König unterbrach Zaza, sein Ton war kalt. „In den Süden solltet ihr nicht gehen, das ist nichts für euch. Dort herrscht nicht nur Armut, sondern auch Kriminalität.“ Der König atmete fast schnaubend aus. „Jetzt zeige ich dir dein Büro.“ Der König öffnete eine Tür gleich neben einer imposanten Doppeltür auf der in Messing eingeprägt stand: „Zentralbankpräsident“.

Zazas Büro war kleiner als Braunis, dabei aber in wärmeren Tönen eingerichtet. Es gab sogar eine rosarote Sofaecke, und der Blick durch die Glasfront war hier oben einfach spektakulär.

Erst jetzt bemerkten Brauni und Zaza beim Hinausschauen wieder dieses Unding: Um den Park zog sich der gigantische Eisenzaun, und dahinter sah man nichts, nur blauen Himmel, blaue Luft.

Der König folgte ihrem Blick. „Es ist wie beim letzten Mal. Hier ist der Park“, er zeigte nach unten, „und außerhalb des Parks“, er machte eine weit ausholende Armbewegung, die einen Halbkreis beschrieb, „gibt es nichts. Wer den Park nicht auf die richtige Art verlässt, landet im Nichts. Aber, aber, was sollen die betretenen Gesichter. Das Spiel hat ja noch nicht einmal angefangen. Und ich versichere euch, ihr werdet großen Spaß haben.“ Der König lächelte und klatschte einmal in die Hände.

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