Özoguz oder gibt es noch eine deutsche Kultur?

„Wie findest du Özoguzs Satz, „eine spezifisch deutsche Kultur“ sei „jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar, Olivia“?  „Also nimm mal grob an, Kultur sei alles, was der Mensch selbst gestaltend auf einem bestimmten Territorium hervorbringt, dann gehört nach Özoguz seltsamerweise weder die Musik Bachs, noch die Philosophie Kants, weder Einsteins Relativitätstheorie noch Daimlers erster Motorwagen zur deutschen Kultur, um nur mal ganz wenige, beliebige Beispiele zu bringen.  Die Deutschen sind Jahrhunderte lang auf der faulen Haut gelegen, und auch das Bier, das sie dabei  konsumierten, hatte nichts spezifisch Deutsches.“  „Tja, man müsste sich in Özoguzs Perspektive fast fragen, waren Goethe oder Luther eigentlich Deutsche? Und von welchem Planeten kam der seltsame Conrad Zuse, der den ersten Computer konstruierte? … Die Sache hätte allerdings auch einen Vorteil.“  „???“ „Hitler gehörte dann auch nicht zur deutschen Kultur.“  (Olivia lacht kurz). „Leider gehört auch Hitler dazu. Das ist unsere Crux. Vornehmlich als Zerstörer unserer Kultur. Eigentlich sind wir damals aus der Geschichte und Zivilisation ausgetreten. Und das Dritte Reich hat nicht nur der Welt großen Schaden zugefügt, verheerend hat es unser Land geschädigt, Millionen sind getötet oder umgebracht worden, die kulturelle Leistungen von unschätzbarem Wert hätten hervorbringen können, eine riesige Anzahl von Städten ist dem Erdboden gleichgemacht worden, wir haben nicht nur unsere Geschichte verloren, wir haben damit auch einen Teil  unserer Seele eingebüßt.  Gerade daran erkennt man auch das Teuflische des Systems.“ Garfield wird nachdenklich: „Özoguz könnte sich auf den Nachkriegszustand Deutschlands bezogen haben. Nach dieser Geschichtszäsur sind die Deutschen vielleicht irgendwie austauschbar geworden.“ „Da ist was dran. Andererseits,  sie haben es geschafft, auf den Trümmern des Unrechtssystems eine funktionsfähige und tolerante Demokratie zu errichten, eine weitere großartige kulturelle Leistung, auch wenn die Demokratie nun keine deutsche Erfindung ist …“ Olivia und Garfield schweigen eine Zeitlang. „Um nochmal auf Özoguzs Satz zurückzukommen. Sicher ist die Sprache ein wesentliches Kulturmoment, und die deutsche Sprache war die Sprache der Dichter und Denker,  auch als Integrationsfaktor steht die Sprache wohl an erster Stelle. Aber wie willst du dich integrieren, wenn dir nicht jemand liebevoll  die unzähligen anderen positiven kulturellen Errungenschaften nahe bringt? Ich habe lange Zeit in Italien gelebt. Und als mir jemand die unglaublichen Kunstwerke dort nahebrachte, liebte ich das Land so sehr, dass ich dazugehören wollte.“

Das Maß für Demokratie

Garfield prustet mir beim Frühstück Krümel und Kaffeetröpfchen ins Gesicht, so aufgeregt ist er. „Wusstest du, dass 40 % der Deutschen arm sind?“ „Was meinst du mit „arm“?“, frage ich Garfield und mache ein blödes Gesicht. „40 % der Deutschen haben null Erspartes und gucken im Alter in die Röhre.“ „Woher hast du das?“ „Ha, aus ner tollen Quelle. Das sagt Marcel  Fratzscher. Der Mann ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und Professor für Makroökonomie und Finanzen, hat übrigens wie du in Florenz studiert und auch in Oxford und Harvard.“ „Hm.“ „Ich hatte schon lange den Verdacht, die Deutschen sind arm. Die deutsche Politik hat nicht nur Europa kaputt gespart, sondern auch das eigene Land. Und die Armen werden einfach unter den Teppich gekehrt.“ Ich schlucke. „Sowas sollte man nicht mehr Demokratie nennen.“ „Dann definierst du Demokratie wohl neu?“, nuschle ich, mein Croissant kauend. „Überhaupt nicht. Das Wort Demokratie kommt aus dem Griechischen und bedeutet, so blöd das klingen mag, „Volksherrschaft“. Ein demokratischer Staat darf also nicht die legitimen Interessen großer Gruppen von Bürgern einfach ignorieren. Bei 40 % Armen, und hier werden Interessen eklatant ignoriert, handelt ein Staat nicht mehr im breiten Bürgerinteresse. Für mich ist das keine Demokratie mehr.“ Mir bleibt der Bissen im Hals stecken. Kater dünn

 

 

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