Interview – Frust, Revolte und Normalität

Frust, Revolte und Normalität – Die Leiden des Lehrers Wolfgang Fink

 

Über den Roman ihrer Mutter Dr. Rose Kleinknecht-Hermann (geboren 1922) ein Gespräch mit der Herausgeberin Dr. Olivia Kleinknecht  

Frau Kleinknecht, Sie schreiben selbst Romane und wissenschaftliche Bücher. Jetzt sind Sie Herausgeberin eines Schulromans, den Ihre Mutter auf der Grundlage von Aufzeichnungen aus den 60er und 70er Jahren geschrieben hat. Wie ist es dazu gekommen?  

Sie sagt, der Impetus waren die erlebten Konflikte, die fehlenden Mitspracherechte im System auf allen Ebenen, die fehlende Selbstbestimmung. Dieser Wolfgang Fink erkennt die Missstände, ist aber machtlos. Die Behörde macht, was sie will und kehrt die Missstände einfach unter den Teppich. Ebenso wenig hat der einzelne Schüler die Möglichkeit auf Verbesserung zu dringen. Die Elternabende sind eine Farce. Und so werden alle im System verheizt.

Der Protagonist heißt Fink. Wer ist dieser blasse Vogel, an dem die Schüler auf der Treppe vorbeigehen, als wäre er Luft? Ein Alter Ego Ihrer Mutter oder eine Charaktermaske, wie man zu seiner Zeit, in den 70er Jahren, gern sagte?  

Fink erlebt die Schule und die Behörden sicherlich so wie meine Mutter diese erlebt hat. Und er ist ein Typus, den es so gab und wohl noch gibt.

Leser werden fragen: heute ist doch alles anders, nach den vielen Reformen, ist das denn noch aktuell, was Fink erlebt?  

Die Probleme in den Klassen sind eher virulenter geworden. Denken Sie nur an den Mangel an Aufmerksamkeit! Und an Gewalt! Der Extremfall war der Amoklauf an der Albertville-Realschule im schwäbischen Winnenden. Da erschoss der 17-jährige Tim K. am 11. März 2009 neun Schüler und drei Lehrerinnen sowie auf der anschließenden Flucht drei Passanten und jagte sich anschließend eine Kugel in den Kopf. Von Drogen sprechen wir jetzt nicht.

Für mich ist ein Befund von Fink auch heute brandaktuell. Er prophezeit: „Utopien wird dann keiner mehr aufstellen, niemand wird mehr Zukunftsvisionen verkünden und Proteste gegen das Bestehende anmelden. Dann wird die Schule Altersheim und Kindergarten zugleich.“ Was für eine hellsichtige Prognose der Autorin! Wie kam sie dazu? Mögen Sie ein wenig über Ihre Mutter erzählen?  

Meine Mutter hat das Dritte Reich als Trauma erlebt. Ihr Vater, evangelischer Pfarrer und Gegner, stand unter ständiger Beobachtung. Wenn er auf der Kanzel predigte, saßen Spitzel in der Kirche. Briefe der Familie wurden geöffnet, Telefonate abgehört. Es gab immer wieder Schikanen wie Strafversetzungen, eine Promotion in Tübingen und so die angestrebte Hochschulkarriere wurden ihm verwehrt, es gab Todesdrohungen. Was das Ganze schlimmer machte, meine Mutter und ihre Eltern „fühlten sich ziemlich alleine“ (das Regime war ja beliebt bei der Bevölkerung). Sie wurde aus biographischen Gründen Historikerin und bis heute ist das Thema der Verfolgung, insbesondere der Judenverfolgung, in der die Bösartigkeit des Regimes gipfelte und die für sie einen völligen Bruch in der deutschen Geschichte darstellt, ihr Thema.

Fink ist zu einer Zeit Lehrer, als Entnazifizierte und Kriegsheimkehrer seine Kollegen sind. Gleichzeitig gibt es ganz junge Kollegen, die für Abrüstung demonstrieren und lila Latzhosen tragen. Es fehlt ihm die „mittlere“ Generation: „Kriegserinnerungen von Kollegen sind tabu, Begriffe wie „Führerbefehl“, „Autorität“, „Gehorsam“, „Pflicht“, mit denen sie groß geworden sind, wollen sie schon gar nicht aus dem Munde dieser Vätergeneration hören, die sich schuldig gemacht haben. Das gehörte zum Ballast der Vergangenheit. Diese würde lediglich lehrplanbezogen aufgearbeitet für die heutige Jugend, die Jugend allerdings will genauso wenig Authentisches wissen über das Dritte Reich wie die jungen Kollegen.“  

Das Desinteresse, selbst an einem so brennenden Thema wie dem Holocaust, ist ein wichtiges Thema im Roman. Und auch das Desinteresse an den schrecklichen Erfahrungen der Kriegsteilnehmer. Man will es nicht wissen. Und man lässt die Traumatisierten alleine.

Fink beneidet seinen Studienfreund, der Unternehmer geworden ist. Er bereut sein eigenes Geschichtsstudium und klagt über das finanzielle Mittelmaß, in das es ihn gezwungen hat: „Ich dagegen hatte eine idealistische Wahl getroffen: Sprachen und Geschichte, ganz der Tradition meiner Familie entsprechend, die sich seit einem Jahrhundert im Wesentlichen aus Pfarrern und Lehrern zusammensetzte, die ihre Verwirklichung in geistesgeschichtlichen Zusammenhängen suchte“. Das ist ja auch Familiengeschichte, wie ich jetzt weiß. Wie ist es Ihnen damit gegangen?  

Ich bewundere meine Familienangehörigen, die ein echtes Bildungsinteresse hatten, und genauso bewundere ich ihre Integrität. Die Bibliothek meines Großvaters wurde nach seinem Tod in einem Lastwagen davongefahren, wir hatten nicht mehr so viel Platz, nicht nur theologische Werke waren darunter, auch Hunderte Bände Kunstgeschichte, Philosophie, Geschichte, Medizin, Belletristik etc. Und ich finde es toll, wie meine Mutter in ihrem Roman auch das Thema der Minderwertigkeitskomplexe der weniger Verdienenden schildert. Sie sind allgegenwärtig und niemand gibt sie zu. Zur Zeit meiner Großeltern fanden geistige Werte noch Beachtung, verliehen sogar Ansehen. Der Pfarrer verkehrte mit dem Arzt. Heute trennt beide das Geld.

Wie ist es überhaupt, wenn man als Tochter einer engagierten Lehrerin aufwächst, die nebenbei noch Bücher schreibt. Last oder Chance?

Es war eine Chance, weil wir uns immer stundenlang über Geschichte, Philosophie, Politik unterhielten, über Denkstrukturen. Und über ein anderes ihrer Hauptthemen, die Gleichstellung von Mann und Frau – ihre Hauptthemen haben etwas gemein, es geht um Diskriminierung, von der Benachteiligung über die Unterdrückung bis zu Verfolgung und Vernichtung. Gleichzeitig war es schwierig, weil man die Traumen seiner Eltern, ihre Ängste, als Kind in sich hineinfrisst, sie unbewusst weiterlebt. Bei uns herrschte regelmäßig eine Art Katastrophenstimmung zuhause. Ängste waren mein ständiger Begleiter. Und erst in letzter Zeit (nach mehr als einem halben Jahrhundert …) gelingt es mir, sie allmählich zu begreifen und zu relativieren.

Das Gespräch führte Margarete Schwind. Abdruck oder Zitate bitte mit Hinweis auf das Buch: Rose Kleinknecht-Herrmann: Frust, Revolte und Normalität. Die Leiden des Lehrers Wolfgang Fink. Herausgegeben von Olivia Kleinknecht.

Das Buch ist als Ebook und als Taschenbuch bei Amazon erhältlich.

Pressekontakt: Margarete Schwind Telefon 030 31 99 83 20 ms@schwindkommunikation.de

 

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